Sollten Flugreisen begrenzt werden?

Interview mit Marius Albiez

26.02.2024   Aus Gründen der Nachhaltigkeit stellen immer mehr Menschen ihr eigenes Reiseverhalten in Frage. Ist es heute noch vertretbar, für eine internationale Konferenz um den Globus zu fliegen? Oder sollten wir doch besser auf virtuelle Formate setzen, um das Klima zu schützen? Marius Albiez ist Wissenschaftler am Karlsruher Transformationszentrum für Nachhaltigkeit und Kulturwandel und forscht im Bereich „Klimaschonendes berufliches Reisen“. In dem Artikel „Das Ende der Bonusmeile“ mit Co-Autorin Kerstin Schopp, sammeln sie Argumente, die für und gegen eine Begrenzung von Flugreisen pro Person sprechen.

Flugzeug am Himmel

Hallo Marius, als Wissenschaftler bist du unter anderem in der Nachhaltigkeitsforschung in Reallaboren tätig. In deiner Projektarbeit beschäftigst du dich fast täglich mit dem Thema Klimaschonendes Reisen, insbesondere mit Reisen im beruflichen Umfeld. Warum ist dir das ein Anliegen?

Hier kommen mehrere Punkte zusammen. Zunächst einmal wird an Hochschulen generell viel gereist. Und das weltweit. Forschende reisen beispielsweise, um sich mit anderen Institutionen oder Projektbeteiligten auszutauschen, um Forschungsdaten vor Ort zu erheben oder um an Konferenzen teilzunehmen. Gleichzeitig spielen Klimaschutz und Nachhaltigkeit an Hochschulen eine immer größere Rolle. Es ist also nicht ganz einfach, diese beiden Punkte miteinander zu vereinen. Aus diesem Grund möchte ich mit meiner Arbeit daran mitwirken und herausfinden, welchen Beitrag Forschungsinstitutionen zum Klimaschutz leisten können. Bei unserem aktuellen Reallabor-Projekt KARLA, das Karlsruher Reallabor Nachhaltiger Klimaschutz, nehmen wir insbesondere die drei Bereiche Reiseaufkommen, Wahl der Verkehrsmittel und Reiseplanung in den Blick. Nicht zuletzt ist für mich die Mobilitätsthematik so spannend, da beim Reisen auch viele Gerechtigkeitsaspekte mit inbegriffen sind. Beispielsweise die Frage, ob es ungerecht wäre, wenn junge Wissenschaftler:innen ihre Reisen erheblich reduzieren müssten. Die Folge könnte sein, dass sie wichtige Konferenzen verpassen, was sich negativ auf ihre weitere Karriere auswirken könnte.

Die Fragen nach Gerechtigkeit spielen auch in dem Artikel „Das Ende der Bonusmeile?“ – den du zusammen mit Kerstin Schopp vom Kompetenzzentrum für Nachhaltige Entwicklung am IZEW der Universität Tübingen geschrieben hast – eine zentrale Rolle. Gib doch zunächst einen kurzen Einblick, warum ihr euch in dem Artikel für das Thema Flugreisen entschieden habt.

Deutschland hat sich mit der Novellierung des Klimaschutzgesetzes (Stand 31. August 2021) das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2045 Treibhausgasneutral zu sein. Um Treibhausgase spürbar zu reduzieren, sollten wir den Verkehrssektor näher betrachten. Dazu gehört der Straßen- und Schienenverkehr, die Schifffahrt und auch der Flugverkehr – er ist für das Weltklima besonders relevant. Mit Blick auf steigende Passagierzahlen müssen wir uns die Frage stellen, wie luftfahrtbezogene Treibhausgasemissionen gesenkt werden können. Beispielsweise, indem wir auf klimafreundlichere Verkehrsmittel ausweichen, neue Antriebstechniken entwickeln oder Emissionen kompensieren. Eine weitere Möglichkeit wäre, Flugreisen selbst zu reduzieren, beispielsweise indem wir persönlich darauf verzichten oder indem wir die Anzahl an Flügen durch Regeln begrenzen. Kurz gesagt: Wenn wir eine Nachhaltige Entwicklung voranbringen möchten, dann sollten wir uns den Bereich ,Fliegen‘ näher ansehen.

Und wie entstand die Idee zum Artikel?

Häufig wird das Thema Fliegen ja im Alltag, beispielsweise am Küchentisch, diskutiert. Eine Idee, die dabei häufig aufkommt, ist eine Obergrenze für Flugreisen pro Person einzuführen. Ähnlich war es auch bei uns. Wir wollten in diese Diskussion mal Struktur reinbringen und erörtern, welche Gründe für und gegen eine solche Begrenzung von Flugreisen sprechen könnten. Dabei haben wir uns am Nachhaltigkeitsleitbild orientiert, da hier Gerechtigkeitsaspekte für heutige und zukünftige Menschen im Vordergrund stehen. Zu Beginn des Artikels stand für uns eine konkrete Frage im Mittelpunkt: Welche Argumente sprechen dafür und dagegen, in Deutschland ein Kontingent für Treibhausgas-Emissionen für Flugreisen pro Kopf einzuführen, um die Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele zu erreichen?

Laut eurer Argumentation gibt es, aus Nachhaltigkeitsperspektive, auch gute Gründe, die für das Fliegen sprechen. Zunächst einmal klingt das paradox. Kannst du das näher erläutern?

Marius Albiez bei einem Workshop zu Dienstreisen.
Marius Albiez bei einem KARLA-Workshop
zu Dienstreisen und Klimaschutz.

Nun, erstmal ist es mir wichtig zu betonen, dass Fliegen nicht per se ,böse‘ ist. Doch die technischen Voraussetzungen sind heute einfach noch nicht so weit, dass wir klimaneutral fliegen können. Um eine Nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene voranzubringen, ist es unglaublich wichtig, sich mit anderen Menschen auszutauschen. Letztlich geht es darum, allen Menschen auf der Erde ein gutes Leben zu ermöglichen – auch für die Generationen, die noch kommen werden. Und um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir uns die lokalen Bedingungen konkret anschauen. Je nach Ort gibt es ja ganz unterschiedliche Vorstellungen, wie eine klimaschonendere, umweltgerechtere und sozialere Zukunft aussehen könnte. Hierfür braucht es internationalen Austausch – am besten vor Ort – um persönlich voneinander zu lernen und einen Einblick in die Lebensumstände anderer Menschen zu erhalten. Ohne den persönlichen Austausch und der lokalen Perspektive sind eine Transformation und ein gesamtgesellschaftlicher Wandel kaum zu schaffen.

Ihr denkt im Artikel auch über einen „Ethik-Check“ vor dem Ticketkauf nach. Was steckt dahinter?

In gewisser Weise haben wir mit unserem Beitrag einen ersten Schritt in diese Richtung gemacht. Im Text tragen wir verschiedene Argumente zusammen, die als Orientierung dienen und die anregen sollen, weitere Aspekte aus Perspektive der Nachhaltigkeit zu betrachten. Als Ausgangspunkt nahmen wir an: Was, wenn Einzelpersonen nur noch eine bestimmte Anzahl an Flugreisen pro Jahr mit entsprechender Obergrenze absolvieren dürften? Welche Argumente sprächen dafür und dagegen in Deutschland ein personenbezogenes Treibhausgas-Kontingent einzuführen? Und welche (Un-)Gerechtigkeiten könnten daraus entstehen?

So haben wir uns beispielsweise gefragt, an welchen Stellen Flugreisen wichtig sind, um gut leben zu können – hier geht es etwa um die Möglichkeit, mobil zu sein, um Angehörige oder Freunde sehen zu können. Des Weiteren haben wir uns angeschaut, wer mit dem Flugzeug unterwegs und wer betroffen ist.

Auch die Umsetzungsebene haben wir versucht, zumindest anzudenken. Aktuell ist die CO2-Abgabe ja das bekannteste Element, mit dem man versucht, Klimagerechtigkeit mitzudenken. Doch was, wenn eine feste Obergrenze für Flugreisen nun tatsächlich eingeführt würde? Eine Folge könnte sein, dass Menschen, die wenig oder gar nicht fliegen, einen Teil ihres ungenutzten Kontingents an Interessierte weitergeben oder gar verkaufen könnten – eine Art individueller Emissionshandel. Jedoch sollte darauf geachtet werden, dass Vermögende auf diese Weise ihr Treibhausgas-Budget nicht unbegrenzt aufstocken könnten. Denkbar wäre, diesem Problem mit einem geeigneten Lossystem zu begegnen.

Ein weiterer Punkt wäre die Frage nach einem möglichen „Generationenbonus“: Sollte das Kontingent für ältere Menschen geringer sein, als das jüngerer Menschen, damit sie ebenfalls die Chance haben, die Welt zu entdecken?

Vergleich: Verursachte Treibhausgasemissionen von einer Person​
​bei einer Reise von Frankfurt nach Berlin (rund 550 km)
mit verschiedenen Verkehrsmitteln.

Du hast es anfangs bereits erwähnt, Deutschland will bis 2045 Treibhausgasneutral sein. Was sind deiner Meinung nach wichtige Stellschrauben mit Bezug zur Wissenschaft, das zu erreichen?

Neue Technologien werden natürlich eine Rolle spielen. Diese müssen entwickelt, produziert und zum Standard gemacht werden. Dazu benötigen wir einerseits die Forschung, insbesondere im Bereich der Mobilität, andererseits die großflächige Umrüstung von bestehenden Maschinen. Hierzu sind nicht zuletzt entsprechende Regeln und Anreize für die Airlines notwendig, deren Folgen ebenfalls forscherisch begleitet werden sollten.

Zudem sollten wir uns in der Wissenschaft überlegen, wie wir mit Dienstreisen perspektivisch umgehen – auch mit Blick auf mehr Nachhaltigkeit an Hochschulen. Wichtig ist hier, Machtverhältnisse in den Blick zu nehmen, um nicht einzelne Personen gegeneinander auszuspielen. Des Weiteren müssten wir uns fragen, wie an Hochschulen geeignete Ziele beschlossen und Rahmenbedingen geschaffen werden könnten, damit weniger gereist wird – beispielsweise mithilfe eines Treibhausgas-Budgets für Institute. Dies sollte in enger Abstimmung mit der Verwaltung geschehen, um unklare oder komplizierte Verfahren vor und nach der Reise zu vermeiden.

Und dennoch gilt, ohne weniger individuelle Flugreisen wird es letzten Endes nicht gehen. Jede Person sollte daher auch ihr eigenes Reiseverhalten in den Blick nehmen und abwägen: Was motiviert mich, die jeweilige Flugreise zu unternehmen und welche Folgen sind damit verbunden? Dieser Schritt ist bereits heute ohne persönliche Obergrenze möglich.

Marius, vielen Dank für das Gespräch.

Artikel-Download

Der gesamte Artikel „Das Ende der Bonusmeile – sollten Flugreisen begrenzt werden?“ von Marius Albiez und Kerstin Schopp steht hier zum Download bereit.

Ursprünglich erschienen im Sammelband: Cordula Brand, Simon Meisch, Daniel Frank und Regina Ammicht-Quinn (Hg.): »Ich lehne mich jetzt mal ganz konkret aus dem Fenster: […]«. Eine Festschrift für Thomas Potthast. Tübingen Library Publishing (23), S. 163-171.

Marius Albiez, KAT

 

Zur Person

Marius Albiez ist studierter Geoökologe und als Nachhaltigkeitsforscher am Karlsruher Transformationszentrum (KAT) tätig. In den vergangenen Jahren beschäftige er sich vor allem mit Beteiligungsformen für eine nachhaltige Energiewende. Im Reallabor-Projekt KARLA arbeitet er an der klimafreundlicheren Gestaltung von Dienstreisen. Des Weiteren forscht er zu Bildungsthemen. Hierzu gehören transdisziplinäre Projektseminare, Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) sowie Zukunftskompetenzen von Kindern und Jugendlichen.

Mehr zu Marius Albiez

Weiterführende Informationen

- Das KARLA-Experiment „Klimaschonendes berufliches Reisen“ will Dienstreisen klimafreundlicher gestalten

- Klimaschutz, der sich lohnt! Rückblick auf Dialogveranstaltung „Was wäre, wenn wir für jede Klimaschutzmaßnahme im Alltag belohnt würden?